Nicht verpassen! Goldschmiedekunst des Historismus am Aachener Dom
Spannende Premiere in der Domschatzkammer: Ab sofort zeigt das Haus in Trägerschaft des Domkapitels erstmals seine Sammlung historistischer Goldschmiedekunst. Der Bestand an kirchlichen Goldschmiedewerken aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert gilt als einer der umfangreichsten und bedeutendsten einer einzelnen Kirche überhaupt. Die Zahl der gezeigten Objekte hat sich im Rahmen der Ausstellung „Mittelalter 2.0 – Goldschmiedekunst des Historismus am Aachener Dom“ verdoppelt: Zu den etwa 120 überwiegend mittelalterlichen Objekten sind noch einmal fast genauso viele neuzeitliche hinzugekommen.
In ihrer Gesamtheit zuvor noch nie betrachtet
Vorausgegangen sind Umbauarbeiten im Untergeschoss der Domschatzkammer und jahrelange Vorbereitungen, die mit überraschenden Entdeckungen und Erkenntnissen einhergingen. „Wir waren uns zwar bewusst, dass wir über einen wirklich großen Bestand an historistischen Gegenständen verfügen, aber erst jetzt konnten wir ihn genauer quantifizieren“, berichtet Dr. Birgitta Falk, die Leiterin der Domschatzkammer. „In ihrer Gesamtheit sind diese Objekte noch nie betrachtet worden, dabei ist ihre Qualität und Bedeutung herausragend!“
Fast 80 Prozent der Werke seien von Aachener Goldschmieden angefertigt worden – und das nicht, wie damals schon verbreitet, als aus Katalogen zusammengestellter Massenware im Baukastensystem, sondern tatsächlich mehrheitlich als individuelle Auftragsarbeiten und somit Einzelstücke.
Auf den Kelchen, Messkännchen, Ziborien (Hostienkelchen), Reliquiaren, Kreuzen und Schmuckstücken haben Dr. Birgitta Falk und ihr Team, allen voran Ausstellungskurator Luke Jonathan Koeppe, zahlreiche interessante Details gefunden. „Die Frömmigkeit war im 19. Jahrhundert noch eine andere als heute. Die meisten Objekte sind Schenkungen Aachener Bürger, die gut dokumentiert sind. Wir wissen in den meisten Fällen, wer wann welches Objekt in Auftrag gegeben oder dem Marienstift, heute Dom, hat zukommen lassen.“
Inventarisierung lief parallel zu Konservierungsarbeiten
„Wir haben die Sakristei geplündert“, schmunzelt Koeppe, der inzwischen jedes einzelne Objekt und seine Geschichte kennt. „Unser mittelalterlicher Bestand ist inventarisiert, aber bei Stücken der Neuzeit und des Barock war das noch nicht erfolgt. Insofern war das jetzt eine hervorragende Gelegenheit, um eine Übersicht zu erstellen.“ Der junge Restaurator gerät ins Schwärmen, wenn er von den sakralen Schätzen spricht. „Technisch gesehen ist das vollendetes Mittelalter! Die Goldschmiede im 19. Jahrhundert hatten moderne Hilfsmittel, die es früher nicht gab und somit andere Möglichkeiten. Zudem konnten sie aus einer reichen Menge an Vorbildern schöpfen und neu interpretieren!“
Angesichts der Vielzahl an Goldschmiedeobjekten erinnert das Untergeschoss ein bisschen an den Schatz aus Alibabas Räuberhöhle. Doch längst nicht alles ist materiell besonders wertvoll. Die meisten Gegenstände bestehen aus Silber oder Kupfer und sind „nur“ vergoldet. „Manche Objekte haben einen materiellen Wert, der lediglich im zweistelligen Bereich liegt“, berichtet Koeppe. Wirklich wertvoll sei vielmehr die Handwerkskunst, die dahinter stecke. Diesbezüglich ein wahres Meisterwerk ist der inzwischen berühmt gewordene Corona- und Leopardusschrein.
Eine stiefmütterliche behandelte Disziplin in der Kunstgeschichte
Der Historismus ist eine sonst eher stiefmütterlich behandelte Disziplin der Kunstgeschichte. Zu unrecht, findet Dr. Birgitta Falk. Die Kunsthistorikerin gilt als Expertin auf diesem Gebiet. „Im 19. Jahrhundert und bis hinein ins 20. Jahrhundert griff man kunstgeschichtlich und architektonisch gerne auf ältere Stilrichtungen zurück. Herausgekommen sind häufig meisterliche Werke, bei denen verschiedene Stile miteinander kombiniert, alte Handwerkstechniken wieder aufgegriffen und Formen neu interpretiert wurden. Insofern lohnt es sich, jedes einzelne Stück diesbezüglich genau zu analysieren“, schwärmt sie.
Auch Dompropst Rolf-Peter Cremer findet gute Gründe für einen Besuch: „Die Ausstellung zeigt zum einen einen interessanten und wichtigen Teil des Aachener Domschatzes. Zum anderen freue ich mich, dass viele liturgische Gegenstände zu sehen sind, die bis heute in den Gottesdiensten gebraucht werden. Dadurch wird der Schatz noch lebendiger und aktueller.“
Ein Sondereintritt wird nicht erhoben. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 19. September 2021.